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Rezension zu „Anders Wachsen“

By: Felicitas Sommer

03.07.2018

Titel becker wachstum

Wie kann das Klima gerettet und Wohlstand global verteilt werden? „Anders wachsen!“ ist die Antwort von Autor*innen aus der postwachstumsbewegten Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik in einem Sammelband. „Anders wachsen! Von der Krise der kapitalistischen Wachstumsgesellschaft und Ansätzen einer Transformation“ erschien dieses Jahr im oekom Verlag und wurde herausgegeben von Maximilian Becker und Mathilda Reinicke. Wichtige Brutstätte war dafür die Leipziger Studierendeninitiative Oikos. Die Botschaft ist Folgende: aktuell werden auf die Krisen – von Klimawandel, Artensterben bis zum Umgang mit Flucht & Migration – kurz gedachte Lösungen gefunden oder Sündenböcke gesucht. Aber eigentlich enthüllen gerade diese, dass der westliche Wohlstand auf struktureller Ausbeutung und nicht „eigener Leistung“ beruht. Er scheint auch nicht global unbegrenzt wachstumsfähig zu sein. Sonst würden aufstrebende Nationen ja nicht so argwöhnisch beäugt und menschliche Mobilität nicht eingegrenzt. Der westlichen Idee von Wohlstand durch kapitalistisches Wachstum setzen de Autor*innen Lebenswirklichkeiten und Utopien entgegen, deren Wirtschaften nicht strukturell auf Vereinnahmung und Ausschluss, sondern Solidarität und Kooperation setzen. Die gesellschaftspolitischen Konzepte werden an der gelebten Praxis und mit Blick auf die aktuellen Problemfelder gesellschaftlicher Krisen, technologischer und sozialer Innovationen verhandelt. Diese Aussöhnung „roter“ und „grüner“ Perspektiven und die dafür nötige Selbstkritik ziehen sich durch den Band. Einerseits wird kritisch analysiert, mit welchen systematischen Denkfehlern vor allem marktbasierte Nachhaltigkeitsansätze neue gesellschaftliche und ökologische Kosten erzeugen. Anderseits wird auch die hegemoniale Kooperation mit dem Ausbeutungssystem derjenigen linken Institutionen kritisiert, die sozialen Kämpfe nicht auf globaler Ebene zu denken vermögen. Betont wird, dass soziale Kämpfe, global gedacht, auch immer Kämpfe um den Zugang zu Natur sind. Bewusst soll nicht „die eine Gegenerzählung zum neoliberalen Wirtschaften“ geschaffen werden sondern ein „transformatives Mosaik“ der vielfältigen Ansätze. Im ersten Teil wird gezeigt, wie aktuelle Krisen mit der gesellschaftlichen Steigerungslogik zusammen hängen. Die ersten drei Kapitel drehen sich um globale Weltbeziehungen. Stefan Lessenich packt das Argumentationsarsenal gegen die westliche Wohlstandserzählung aus. Er argumentiert, dass an der breiten Angst vor aufstrebenden Nationen und Migration deutlich wird, dass das Erfolgsmodell des Wohlstandskapitalismus nicht Leistung, sondern vor allem Exklusion ist. Die imperiale Lebensweise bedeutet eine ständige Normalisierung der gesellschaftlichen Verteilungsungerechtigkeit und ihren Krisen: Die Verhältnisse erscheinen in den Industrieländern deswegen nicht in ihrer Klarheit, weil die Erhaltung noch größerer Armut in anderen Ländern den Import billiger Konsumgüter ermöglicht. Somit wird die Akzeptanz für die gesellschaftliche Verteilungsungerechtigkeit aufrecht erhalten, ergänzen Ulrich Brand und Markus Wissen im nächsten Kapitel. Die Übersetzung der systematischen Expansion auf der Beziehungsebene und in persönliche Erfahrung analysiert Hartmut Rosa. Bis in die individuelle Haltung zur Welt prägt sich der Wachstumsmodus ein: Begegnungen verlieren die Möglichkeit zur Resonanz und zur Transformationen, solange sie für die permanente Reichweitenvergrößerung eines sich dynamisch stabilisierenden Kapitalismus instrumentalisiert und kontrolliert werden. In den nächsten drei Kapiteln werden aktuelle Versprechen einer wachstumsbasierten Nachhaltigkeit und Zukunft diskutiert. Steffen Lange weist auf die unterschätzen sozialen und ökologischen Kosten einer neoliberalen Digitalisierung hin. Er ruft jedoch nicht zum Technikpessimismus auf: Es hängt von der politischen Gestaltung ab, inwiefern Machtmonopole und Naturzerstörung oder sinnvolle Wirtschaftsformen von technischen Entwicklungen profitieren. Im Bezug auf die grüne Ökonomie zeigt Barbara Unmüßig auf, dass der Markt und nicht die Natur Gewinner ist. Für komplexe Probleme braucht es keine Einzellösungen, sondern Konzepte, die Zielkonflikte berücksichtigen. Silke Kleinhückelkotten und H.-Peter Neitzke belegen mit einer Studie sozialer Millieus, dass nicht Werte und Intentionen, sondern Armut zu ökologischerem Handeln führt. Leider werden die Schlussfolgerungen nicht weiter diskutiert. Aber die Argumentation hinterfragt damit indirekt die Idee des qualitativen Wachstum durch nachhaltigen Konsum. Im zweiten Teil werden die Wege einer sozialökologischen Transformation beschrieben und den bisher analysierten Kittversuchen gesellschaftlicher Brüche aus dem vorherigen Teil gegenüber gestellt. Die Sammlung von Beiträgen macht deutlich: wenn die globalen Konzentrations- und Externalisierungsprozesse umgedreht werden sollen, dann reichen Einzellösungen nicht aus. Es geht um das Ringen um Mindeststandards, den Kampf um Erhalt und Demokratisierung des Öffentlichen und der Gemeingüter und das Engagement für aktive Lokal- und Regionalentwicklung. Die Ideen eines Grundeinkommens, einer Regional- oder solidarischen Ökonomie werden daher immer im Hinblick auf den Kampf um den Staat, Ressourcenzugänge für Gemeinwesen und Commons, Wertschöpfungsketten und Handelsbeziehungen artikuliert. Judith Dellheim setzt zunächst den Fokus auf die global mächtigsten Oligopole, deren Interessen einer gesellschaftlichen Transformation im Wege stehen: die Sektoren Energie und Rohstoffe, Transport, Nahrung, Verteidigung und Finanzwesen. Niko Paech sieht Suffizienz, regionale Ökonomie und Subsistenz als einen Ausweg aus der Abhängigkeit und der systematisch angelegten Unkontrollierbarkeit dieser globalen Wertschöpfungsketten. Frigga Haugg führt fort und macht mit ihrer Vier-in-einem-Perspektive einen Alltag plastisch, in dem – wie von Niko Paech angedacht – die Lohnarbeit reduziert wird, damit Menschen auchder Fürsorge, der Persönlichkeitsentwicklung und der Politik nachgehen können. Mit autobiographischer Note zeigt Muruchi Poma aus Bolovien wie die Organisation der Ayllus, also der dörflichen Gemeinschaften, und ihr respektvoller Umgang mit Mensch und Natur mit dem Weltbild des Buen Vivir – übersetzt des „Guten Lebens“ - ineinander greifen. Jedoch wirft Felix Ekardt auch ein, dass Gutes Leben keine politische Forderung an sich sein kann – Politik kann nur die Freiräume für eine Glück bringende Lebensgestaltung schaffen. Einer dieser Freiräume könnte ein linkes, bedingungsloses Grundeinkommen sein. Dieses grenzt Katja Kipping in ihrer Skizze klar von einer neoliberal angeeigneten Elendsverwaltung ab. Christian Felber schließlich zeigt auf, dass auch globale Freihandelszonen so gestaltet werden können, dass sie nicht die globale Machtkonzentration und Ausbeutung fördern. Sein Konzept der ethischen Handelszonen könnte aus seiner Sicht Mindeststandards und globale Handlungsfähigkeit verantwortungsvollen Wirtschaftens ermöglichen. Der Band ist eine zentrale Zusammenstellung von Perspektiven, in denen Kapitalismusanalysen von nicht-emanzipatorischen, nicht-liberalen Ansätzen abgegrenzt werden und deren Projekte und Konzepte einer sozial-ökologischen Transformation selbstkritisch, politisch und ohne Vergangenheits- oder Aussteigerromantik diskutiert werden. Der Sammelband bringt innovative Ansätze zusammen, die sich gegenseitig befruchten und ergänzen, aber auch Widersprüche und Ambivalenzen aufzeigen. Die klare Benennung von Interessenslagern und Machtverhältnissen zieht sich in diesem Buch leider immer nur durch die Kritik – selten wird darauf eingegangen, wie die Transformationspfade der Vereinnahmung und den Hemmnissen stand halten können. Dennoch bringt das Werk die emanzipatorischen, linken, ökologischen Bewegungen konsequent zusammen und zeigt, wie dringlich der Austausch zwischen ihnen ist. Wer die Autor*innen kennt, weiß bereits, was ihn oder sie erwartet. Dennoch ist die Zusammenstellung ein Gewinn. Werden die Diskurse weiter gedacht, könnten tatsächlich politische Ansätze entstehen, die Verteilungsfragen, soziale Gerechtigkeit, demokratische Repräsentation und Selbstorganisation zusammenbringen.

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